Experteninteview 

Volkskrankheit Neurodermitis

„Haut weißer als Elfenbein“ war für den griechischen Schriftsteller Homer in der Antike das Schönheitsideal. Aber auch schon der römische Kaiser Augustus soll unter Neurodermitis gelitten haben. Haut ist das größte Organ des Menschen und sicherlich ist jeder bemüht, in einer schönen Haut zu glänzen. Auch wenn jeder schon einmal sprichwörtlich aus selbiger gefahren ist, möchte man doch so lange wie möglich in einer glatten, weichen Haut stecken. Für etwa vier Millionen Menschen in Deutschland ist das aber mit etwas mehr Aufwand verbunden. Sie leiden an Neurodermitis. Wie man trotz der Erkrankung gut leben kann und ob die Krankheit eines Tages ganz besiegt wird, erklärt Dr. Ralf Hartmann, Direktor der Hautklinik im Berliner Bundeswehrkrankenhaus:

Dr. Hartmann, mitunter liest man, Neurodermitis sei auf dem Weg zur Volkskrankheit und die Zahl der Betroffenen steige. Können Sie das bestätigen?

Ja, das trifft zu. Die Anzahl der Betroffenen hat sich in den vergangenen Jahren stetig erhöht. Wir gehen im Moment davon aus, dass 10 bis 20 Prozent der Kinder bis zur Einschulung betroffen sind. Weltweit etwa ein bis drei Prozent und wir sehen eine Korrelation. Immer dann, wenn der Wohlstand in einem Land zunimmt, dann nehmen Krankheiten, die zu dem atopischen Formenkreis zählen, Neurodermitis, allergischer Heuschnupfen und allergisches Asthma, zu. Warum das mit dem Wohlstand zu tun hat, wissen wir allerdings noch nicht so richtig. Die Vermutungen gehen dabei von der Ernährung bis zur Luftverschmutzung.

Wo liegen denn die Ursachen der Erkrankung? Kann man eventuell vorbeugen?

In erster Linie hat man die Erkrankung in seinen Erbanlagen. Ob es dann allerdings zu einem Ausbruch kommt, hängt jedoch von vielen Faktoren ab. Viele Dinge spielen da eine Rolle und insofern gibt es schon auch in gewisser Weise vorbeugende Maßnahmen.

Diese sind…?

Man kann zwar seine Erbanlagen nicht beeinflussen, aber wie gesagt, ob es zum Ausbruch der Krankheit kommt. Wenn man die Veranlagung hat, neigt man zu sehr trockener Haut. Die Haut kann sich nicht so gut selber fetten, sich also schlechter selbst schützen. Wenn man die Haut dann sehr gut pflegt, neigt sie viel weniger dazu, diese schweren Ekzeme mit Juckreiz zu bekommen, die die Lebensqualität dann stark beeinflussen.

Gibt es außer der genetischen Veranlagung weitere Ursachen oder Faktoren, die die Krankheit befördern?

Ja, wir haben da zwei ganz wichtige weitere Faktoren, abgesehen von der Veranlagung. Oft fragen Patienten, und der Name Neurodermitis deutet das ja auch schon an, hat das etwas mit Stress zu tun? Da ist zu beobachten, dass Stress zwar nicht die Ursache ist, aber er ist auch nicht hilfreich. Also wenn zum Beispiel Examenszeit ist oder sonstige Prüfungen oder es im Beruf nicht so gut läuft oder bei privaten Problemen, nimmt man sich das zu Herzen. Das scheint bei Neurodermitikern schon eine große Rolle zu spielen, mehr als bei anderen Erkrankungen. Außerdem sind es Infekte, zum Beispiel ein normaler Schnupfen, dann wird auch die Neurodermitis schlimmer, weil das Immunsystem auf Abwehr geschaltet hat.

Kann man Neurodermitis auch noch im Alter bekommen?

Ja, das ist eine sehr faszinierende Erkenntnis der letzten Jahre. Vor über dreißig Jahren, als ich anfing mich mit Dermatologie zu beschäftigen, war es nicht so, dass wir Patienten gesehen haben, die über 70 Jahre alt waren und zum ersten Mal Neurodermitis bekommen haben. Heute ist das so, dass wir Patienten behandeln, die sozusagen die Erbanlagen schon immer hatten und nun mit über 70 Jahren zum ersten Mal einen Ausbruch ihrer Neurodermitis kriegen. Das gilt übrigens auch für die beiden anderen bereits genannten Erkrankungen. Da übrigens manchmal noch häufiger. Dabei ist es wiederum so, wie mit dem genannten Wohlstand. Wir beobachten es, wissen aber noch nicht so genau, warum das so ist.

Was sind aus Ihrer Sicht die besten Therapieansätze?

Zum Thema Therapie der Neurodermitis kann man mehrere Bücher schreiben und es gibt ja auch schon etliche. Gut ist auf alle Fälle erst einmal eine ordentliche tägliche Basispflege. Die Haut hilft sich ja normalerweise selbst. Wenn man jedoch die Veranlagung hat und es zum Ausbruch kommt, und das sind eben die juckenden, schuppigen Ekzeme, manchmal auch noch besiedelt von Hautkeimen, die das noch verschlechtern, dann muss man in die Behandlung einsteigen. Da nimmt man dann in der Regel hautberuhigende Substanzen.

Worauf sollte man bei der Hautpflege besonders achten?

Die Pflegesubstanzen haben sich in den vergangenen 10 bis 20 Jahren sehr verbessert und ein Großteil ist auch extra für empfindliche Haut entwickelt worden. Dabei wird der Haut geholfen, sich gegen Erreger zu schützen und sich zu fetten und eine Barriere aufzubauen. Das ist dann aber auch individuell abhängig, was jedem persönlich gut gefällt, also was man als angenehm auf der Haut empfindet. Wohlbefinden kann auch schützen.

Im Zusammenhang mit der Behandlung haben Sie vorhin Basispflege angesprochen. Was genau ist damit gemeint?

Ganz einfach gesprochen, die Haut mit dem versorgen, was sie benötigt. Das heißt, täglich eincremen. Dazu gibt es zum Beispiel in der Apotheke ein breites Sortiment. Aber auch ganz alltägliche Dinge, wie baden oder auch duschen. Jemand der nicht die Veranlagung für Neurodermitis hat, kann dies lange und heiß. Ganz wie er will. Ein Betroffener sollte dies nicht so lange tun und sich dann eben immer wieder gut eincremen. Also eine gute Basis für die Haut schaffen, die der Haut hilft, sich selber zu helfen. Gute regelmäßige Pflege kann die Krankheit gut unter Kontrolle halten.

Die Zeit steht ja nicht still. Sicherlich auch nicht beim Thema Neurodermitis-Forschung. Haben Sie Hoffnung, dass irgendwann keine Patienten mehr mit dieser Krankheit in Ihrem Wartezimmer sitzen? Vielleicht auch durch Gentherapie?

Bis vor vier, fünf Jahren hätte ich gesagt, die Hoffnung sollten wir nicht haben. Jetzt muss man allerdings sagen, die jüngsten Entwicklungen deuten darauf hin, dass wir Neurodermitis immer besser behandeln können und ich könnte mir vorstellen, dass wir in einigen Jahren oder vielleicht braucht es auch noch Jahrzehnte, ganz früh, ganz gut das behandeln können, dass man gar nicht erst das Leben mit so vielen Ausbrüchen und Beschwerden überschattet hat. Dafür muss es vielleicht gar nicht sein, dass wir in die Genetik der Menschen eingreifen, aber dass wir die Genetik besser analysieren können und dann sehr früh gut behandeln können, sodass sich die Krankheit gar nicht erst verfestigt. Erste Ansätze dazu gibt es. Wir greifen heute schon bei schweren Fällen gezielt in das Immunsystem ein, damit der Ausbruch beherrscht werden kann und die Patienten ein besseres Leben haben. Vielleicht gelingt es ja, dass wir bei Kindern schon so gut die Behandlung machen, dass es gar nicht zu einem schweren Ausbruch kommt.

Honza Klein

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